Beitrag von Johanna Baumgartner, Leiterin der Stadtbibliothek Dornbirn (Österreich)
„A building designed with intentionality will in fact do what‘s intended to do. […] A building designed to deliver togetherness, will deliver togetherness.“ (Damaris Hollingsworth)
Vier Jahre nach der Eröffnung des Neubaus der Stadtbibliothek Dornbirn können wir diesem Zitat der Architektin Damaris Hollingsworth, die sich für die Schaffung ganzheitlicher und für alle zugänglicher Räume, einsetzt, nur zustimmen. Die Rolle der Architektur für menschliche Begegnungen und Lernprozesse war ein wiederkehrendes Thema während der Planung: Wie muss ein Gebäude – in unserem Fall eine Bibliothek – gestaltet sein, um Kommunikation und Begegnung zu fördern und die Besucher*innen zu partizipativem und kooperativem Lernen und Handeln anzuregen? Wie kann eine Bibliothek zu einem öffentlichen Wohnzimmer der Stadt werden? Was brauchen unsere Zielgruppen, Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Geschichten, um sich wohlzufühlen?
Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Architekt*innen, der städtischen Bauleitung und dem Bibliotheksteam war notwendige Voraussetzung, um diese Fragen beantworten zu können. Darüber hinaus flossen Ideen und Vorstellungen aus einem Bürger*innenbeteiligungsprozess in die Planung mit ein. So konnte auf die Visionen, Bedürfnisse und Anforderungen aller eingegangen werden. Das Engagement und die Bereitschaft der Beteiligten, sich intensiv auf Diskussionen einzulassen und voneinander zu lernen, ermöglichten individuelle Lösungen und eine hohe Identifikation mit dem Bibliotheksprojekt.
Seit Anfang 2020 ist die neue Stadtbibliothek Dornbirn ein offenes Wohnzimmer für alle Generationen – mit einer außergewöhnlichen Grundform: Vier frei miteinander verbundene Parabeln ermöglichten es, den alten Baumbestand des Parks weitgehend erhalten zu können, ganz im Sinne unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Zudem verweist die Grundform auf die literarische Form der Parabel – die Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing. So hat diese physische Form einen starken symbolischen Wert und macht die Grundwerte der Bibliothek sichtbar: Toleranz, Offenheit und Kommunikation auf Augenhöhe.
Auch die unverwechselbare Fassade und das Raumkonzept spiegeln diese Offenheit wider. Über 7.700 Keramikelemente beleben die Innenräume durch ihr Licht- und Schattenspiel, erlauben sowohl Ausblicke als auch Einblicke. Außen und Innen treten in einen Dialog: Kommunikation findet nicht nur zwischen den Menschen in der Bibliothek statt, sondern auch mit der Umgebung. Ganz nebenbei dient die Fassade als fixer Sonnenschutz für das rundum verglaste Gebäude. Im Inneren bieten drei Ebenen neben Platz für Medien viel Raum für unsere Besucher*innen, um sich individuell zu entfalten: Gemütliche Sitzecken, loungeartige Bereiche, ruhige Lernplätze und Räume für Workshops und Diskussionen. Die gesamte Bibliothek kann flexibel genutzt werden, denn alle Bereiche sind so ausgestattet, dass unterschiedliche Lern- und Veranstaltungssettings möglich sind. So wird trotz der geringen Gesamtfläche die bestmögliche Nutzung garantiert.
Atmosphärische Details und Einladungen zum Lernen, Entdecken und genauen Hinsehen sind im gesamten Gebäude verteilt. So finden sich „Fußnoten“ mit Zitaten in Regalen, an der Decke oder sogar in den Toiletten. Die Gestaltung der Bibliotheksräume regt zum Austausch an, inspiriert und soll die Besucher*innen in ihrem Lernprozess unterstützen. Und vor allem: Sie ermöglicht zufällige
Begegnungen; mit Medien, aber auch mit den unterschiedlichsten Menschen, Stichwort: Serendipity. Unter anderem machen Glaswände zu den Lernräumen Lernprozesse für alle sichtbar. Möchte man dennoch ungestört und ohne Ablenkung von außen lernen, lassen sich die Räume mit Hilfe von Vorhängen schnell und unkompliziert in Rückzugsorte verwandeln. Denn so vielfältig wie die Angebote der Bibliothek, so unterschiedlich sind die Besucher*innen und ihre individuellen Bedürfnisse.
Dies zeigt sich auch in unseren inhaltlichen Formaten, von denen hier nur einige kurz erwähnt werden sollen. Austausch- und Diskussionsformate, wie das Literaturcafé, der Literaturkreis für Sachbücher oder Shared Reading, lassen die gemeinsame Wirkung von Literatur erleben. Veranstaltungen zu gesellschaftspolitischen Themen ermöglichen das Kennenlernen unterschiedlicher Standpunkte und fördern Dialog, Debattenkultur und gesellschaftliche Teilhabe. Neben dem Silent Book Club, einem Buchclub für (introvertierte) Jugendliche, bei dem es um niederschwelligen Austausch geht, ermöglicht der Bücherkaufrausch Partizipation am Bestandsaufbau der Jugendbibliothek. Im Rahmen eines Kurzpraktikums durchlaufen die Jugendlichen den Weg eines Buches: Sie wählen es für den Bestand der Jugendbibliothek aus, kaufen ein und begleiten alle bibliotheksinternen Prozesse bis ins Regal. Ganz nebenbei fördert das Format die Identifikation mit der Bibliothek. Wichtig sind auch niedrigschwellige Incoming-Formate wie die Maschenprobe – eine offene Kreativrunde, die den Austausch von Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten innerhalb der Community fördert.
Wir wollen unseren Besucher*innen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln und sie in jeder Phase ihres Lebens ermutigen, inspirieren und Möglichkeiten eröffnen, Neues und sich dadurch selbst neu kennenzulernen. Dafür steht auch das Statement „Ich bin ich“ – um auf die Rolle der Architektur zurückzukommen. Übersetzt in 55 Sprachen befindet sich der kurze Satz als erforderlicher Anlaufschutz an den Glastüren und Glaswänden und steht unter anderem für die über 120 Nationen, die in Dornbirn leben. Er soll dazu einladen, sich selbst und alle andere mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ernst zu nehmen und einander mit Toleranz und Offenheit zu begegnen.
Kontaktdaten:
Johanna Baumgartner, Leiterin der Stadtbibliothek Dornbirn (Österreich), Mail: Johanna.Baumgartner@dornbirn.at