Orientieren, Navigieren, Vernetzen
Die „andere“ Bibliotheks-App, Beitrag von Maike Lins, Leiterin des Sachgebietes Digitale Services der Stadtbüchereien Düsseldorf
Seit November 2022 können Bibliotheksbesuchende in der Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf eine neue App nutzen. Die „Stadtbüchereien Düsseldorf App“ sorgt vor Ort für ein besonderes Erlebnis: die App eröffnet eine neue, virtuelle Nutzungsebene, indem sie den Ort Bibliothek mithilfe der Augmented Reality (AR) Technologie um virtuelle Elemente erweitert. Diese dienen Nutzenden dazu, sich durch die Bibliothek leiten zu lassen – zu Räumen, Veranstaltungsorten oder Medienstandorten – oder eigene Aktivitäten im Raum digital sichtbar und auffindbar zu machen.
Idee und Strategie
Die Idee zu einer App entstand bereits 2018, mit Teilnehmenden eines Pen & Paper Hackathon im Rahmen der Smart City Challenge[1]. Teilnehmende aus Bereichen Web-Programmierung, Kommunikation und Kulturwissenschaften bearbeiteten das Thema aus der Kundensicht und entwickelten einen ersten Funktionsrahmen für eine App. Konkretisiert zu einem umsetzbaren Vorhaben, ausgearbeitet und verfeinert wurde der Impuls dann durch das Team der Zentralbibliothek Düsseldorf. Dies erfolgte innerhalb eines landesmittelgeförderten Projekts erfolgen, das mithilfe einer Gruppe von Expert*innen die umzusetzenden Elemente einer groß angelegten Digitalstrategie festlegte.
Zum damaligen Zeitpunkt war die Ende 2021 neu eröffnete Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf noch in der Bauphase und sollte mithilfe dieses vorbereitenden Projekts und der dann folgenden Umsetzungsphase dazu beitragen, die Zentralbibliothek zu einem Innovationsträger für digital-analoge Strategien zu positionieren, ein Leuchtturm aktueller Bibliotheksplanung zu werden und den erwarteten hohen Kundenanforderungen zu genügen.
Die Entwicklung verschiedener neuer digitaler Self Services ein wichtiger Ankerpunkt des Gesamtangebots im neuen Haus.
Umgesetzt wurden die geplanten Bestandteile in den Jahren 2020 bis 2023. Dank der Förderung durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen wurde hier ein vielteiliges Portfolio an neuen Diensten realisiert, deren Mittelpunkt die App bildet.[2]
Der Slogan der Zentralbibliothek lautet „Menschen, Bücher, Räume“. Die App deckt inhaltlich Funktionen für alle diese Elemente ab: die Orientierung in der weitläufigen Bibliothek, das Finden von Veranstaltungen und Räumen, das Erleben des Ortes und Treffen von Menschen stehen im Zentrum der Funktionen. Auch ein zusätzlicher Zugang zur Reservierung von Lernräumen oder 3D-Drucker sowie die Nutzung des Chatbots der Stadtbüchereien werden über die App möglich sein.
Die große Besonderheit:
Die Funktionen sind mit dem Gedanken „hier und jetzt“ konzipiert worden – die App erschließt den Raum und fördert Interaktion von Menschen, die sich jetzt gerade, im Moment des eigenen Aufenthalts, dort befinden.
Der vornehmliche Gedanke bei der Entwicklung:
Ein Angebot mit aktuellen Technologien zu schaffen, das den Bibliotheksraum digital erlebbar macht und gewohnte Services mit neuen ergänzt. Datensparsamkeit, möglichst barrierearme Nutzung und Einfachheit stehen bei allen Funktionen im Mittelpunkt. Auf die Abbildung klassischer Dienste wie einem Online-Katalog wird dabei ganz bewusst verzichtet.
Kernfunktionen
Die Grundfunktionen der Anwendung sind
- Orientierung und Navigation im Raum,
- Aktivitäten: Begegnen und Kommunizieren,
- Animationen: Entdecken und Erleben.
Bestimmendes Element der App ist die Nutzung von Augmented Reality (AR) für alle Kernfunktionen.
Augmented Reality bedeutet, dass eine reale Umgebung, betrachtet durch die Kamera eines Mobilgeräts, durch Computerelementen angereichert wird. In der Stadtbüchereien Düsseldorf App blickt man „live“ in den Raum der Zentralbibliothek, und es werden zusätzliche Informationen wie Navigationspfeile oder Animationen in das Kamerabild eingeblendet. Die virtuellen Elemente sind dabei an den jeweiligen Kontext angepasst: an verschiedenen Orten im Raum gibt es unterschiedliche Animationen oder bewegte 3D-Bilder.
Exkurs: Technologie
Die Technologie, die dies erreicht, ist ein Alleinstellungsmerkmal: Das Entwicklerteam der Firma Exponential Dimensions bediente sich des Software Development Kit der finnischen Firma Immersal©; dieses stellt alle Tools bereit, um mit Methoden der Photogrammmetrie ein digitales Abbild des Bibliotheksraums zu schaffen: Aus Scandaten entsteht ein virtueller Zwilling. Innerhalb dieses Daten-Raums werden Räume, Medienstandorte, Zusatzinformationen und Animationen von den Entwicklern verortet und so für die AR-Sicht an bestimmten Punkten verfügbar gemacht.
Damit sich Nutzende mit ihren Geräten durch die Bibliothek navigieren lassen können, ist es erforderlich, dass die App die jeweilige Position des verwendeten Geräts im Raum bestimmen kann. Für diese Lokalisierung und Identifikation der Position wird als technische Infrastruktur die Multiplayer-Engine des Herstellers Photon verwendet. Diese erlaubt es, über die Vergabe von anonymisierten IDs auf datensparsame Art Position verschiedener Geräte entweder zueinander (bei der Funktion Aktivitäten) oder zu Räumen oder Animationen bestimmen.
Exponential Dimensions nutzt in der Zentralbibliothek damit aktuellste Technologie, die sowohl innovativ als auch experimentell ist. In dieser Größenordnung ist sie zu diesem Zweck zuvor noch nicht benutzt worden, so dass die Stadtbüchereien damit Neuland betreten haben – und dies nicht nur für die Bibliothekswelt.
Dies hatte seine ganz eigenen Herausforderungen: während der Entwicklungszeit erforderte es ein hohes Maß an Kreativität, Lösungsorientierung und Flexibilität bei allen Projektbeteiligten, ebenso wie ausgiebiges Testen und Ausprobieren. Dies beinhaltete auch das Testen von Menü und Funktionen mit zukünftigen Nutzenden, um ein attraktives und ein für möglichst viele Nutzergruppen leicht zugängliches Angebot zu schaffen.
Die Funktionen im Detail
AR-Kernfunktion Navigation
Die Navigationsfunktion ist das wesentliche Element in der App. Sie dient Nutzenden zur Orientierung im Raum und hilft beim Finden von Signatur- und Themenstandorten, Räumen und Veranstaltungsorten.
Über die Auswahl eines Raums aus einer bebilderten Übersicht, durch Eingabe einer Signatur oder eines Themas wird die Navigationsfunktion aktiviert und leitet zum entsprechenden Ort. Bei aktiver Navigation wird auf dem Gerätebildschirm ein beweglicher Pfeil eingeblendet, der den Weg weist; als begleitendes Element führt ein Avatar des humanoiden Roboters Pixi Pepper die Nutzenden zum gesuchten Ort und teilt dort mit, dass man angekommen ist. (s. folgendes Bild)
Die navigierbaren Bereiche und Themen speisen sich aus den Inhalten der Klassifikation und wurden für diesen speziellen Einsatzzweck überarbeitet. Die Prämisse war hier, die Kundensicht einzunehmen und verständliche Begriffe zu verwenden. Zur Anpassung der hinterlegten Begriffe hat das Team Zugriff auf ein webbasiertes Verwaltungsportal.
AR-Kernfunktion Aktivitäten
Die Funktion Aktivitäten schafft per App eine Möglichkeit der Vernetzung, belebt den Ort der Bibliothek als Treffpunkt, befördert Kommunikation und das aktive Schaffen von Netzwerken. Hiermit hat jede*r Nutzende die Möglichkeit, per App ein Gesuch oder Angebot in den Raum der Bibliothek zu setzen und sich für andere damit sichtbar und erreichbar zu machen. Das kann z.B. die Suche nach einem zweiten Schachspielenden, ein Aufruf an Lernpartner*innen oder der Wunsch nach Austausch zu einem aktuellen Buch sein.
Wer so ein Gesuch eingestellt hat, aktiviert die Einblendung eines AR-Diamanten am eigenen Standort, den andere im Bibliotheksraum entdecken können. Ebenso ist das Erkunden der aktuellen Aktivitäten über eine Liste möglich. Eine Blacklist im Hintergrund stellt sicher, dass unerwünschte Begriffe nicht verwendet werden können. Eine Meldefunktion unterstützt Nutzende dabei, auffällige Aktivitäten beim Bibliotheksteam zu melden.
AR-Kernfunktion Animationen
Ein Teil des App-Erlebnisses sind nicht nur funktionale Einheiten, sondern auch Erlebnis- und Überraschungsmomente, die die Bibliothek zu einem noch besondereren Ort machen. An verschiedenen Stellen der Zentralbibliothek finden Nutzende beim Rundgang mit der App AR-Animationen und zusätzliche Informationen: ein Sonnensystem im Eingangsbereich, der fließende Rhein und ein Wald mit Tieren in der Kinderbibliothek, oder ein schmetterlingsumschwärmter Baum im Lesefenster. Diese betonen das spielerische Element der App und laden ein, die Bibliothek zu erkunden. Auch bieten sie für Personen, die bisher noch nicht mit AR-Effekten vertraut sind, die Option, sich in vertrauter und geschützter Umgebung mit den Möglichkeiten bekannt zu machen.
Zur Vermittlung eigener Dienste oder anderer Informationen bieten die Animationen auch virtuelle Plakatwände an drei Stellen der Bibliothek. Das Team kann die Inhalte dieser Panels über das Verwaltungsportal eigenständig bestimmen. So gibt es beispielsweise auf einem Panel bei den Publikumszeitschriften, die Möglichkeit, aus der App heraus die digitalen Angebote zu erkunden. An anderen Stellen werden Inhalte zu gerade laufenden Ausstellungen vermittelt oder das Veranstaltungprogramm in der App zum Download angeboten. Auf den Panels wird der Inhalt über das Verwaltungsportal je nach Bedarf hinzugefügt, so dass gezielt auch Vermittlungsdienste und Informationenangeboten werden können.
Die Kernfunktionen werden ergänzt durch Zugänge zum Raumreservierungssystem, zum Chatbot und zu den Veranstaltungen in der Zentralbibliothek. Als weitere Funktionen bietet die App einen Raumplan der Zentralbibliothek mit Signaturgruppen und Liste mit den Standorten der Zweigstellen mit Link zur bevorzugten Karten-App.
Die AR-Kernfunktionen sind ausschließlich in den Räumen der Zentralbibliothek zu nutzen und können auch nur dort aktiviert werden. Alle weiteren Funktionen, die Nutzende im Menü finden, sind auch außerhalb der Räume zu nutzen.
Erfahrungen
Ein erfolgreiches Digitalprojekt wie die Bibliotheks-App lässt den gewünschten und notwendigen Imagewandel von Bibliotheken sichtbar werden und bricht in positiver Weise mit Erwartungen. Den gängigen Bibliotheksklischees wird so in der Zentralbibliothek im KAP1 mit der App als ein Element einer zeitgemäßen Digitalstrategie entgegengewirkt. Das dies gelungen ist, zeigt u.a. die internationale Anerkennung durch die Auszeichnung mit dem renommierten Auggie Award als „Best Consumer App“. Dieser Award ist die weltweit anerkannteste Auszeichnung der AR- und VR-Branche.
Die Erfahrungen zeigen, dass Nutzende sich über die modernen Funktionen der App erstaunt und begeistert zeigen, auch wenn immer einmal wieder mit der „klassischen Bibliotheks-App“ gerechnet wird. Gerade die Tatsache, dass unsere App mit den gängigen Services und Kontofunktionen keine Schnittmenge hat, sondern ganz für sich steht, macht es in Kundengesprächen aber leicht, das Spezielle der App zu vermitteln.
Trotz des intuitiven Designs und des eingebauten Tutorials, ist eine aktive Vermittlung aber nicht zu vernachlässigen. Ein Infostand im Eingangsbereich und regelmäßige Veranstaltungen zum Kennenlernen decken dies im Haus ab.
Ebenso ist auf das aktive Hinweisen an die Besuchenden im Rahmen der Gespräche an Info- und Servicetheken nicht zu verzichten. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass das gesamte Bibliotheksteam inhaltlich an Bord ist und über Entwicklung und Änderungen auf dem Laufenden gehalten wird.
Die Entwicklung einer App, zumal in Hoch-Zeiten der Pandemie und parallel zu Bau und Umzug in die neue Zentralbibliothek, barg an vielen Stellen Herausforderungen. Durch den angestrebten hohen Innovationsgrad handelt es sich bei der Stadtbüchereien App um eine von Grund auf neu entwickelte Anwendung, die nicht auf vorhandene Services oder Systeme aufbaut. Dadurch
ergab sich nicht nur eine verstärkte Notwendigkeit zu erproben, sondern auch ein erhöhter Kommunikationsbedarf. Transparenz, Klare Kommunikation, Wissensmanagement, und nicht selten Penetranz und Hartnäckigkeit sind von allen Seiten unbedingt vonnöten, um im Spektrum der vielseitig in Verbindung stehenden neuralgischen Stellen Bibliothek, IT, Rechenzentrum, städtische Ämter, Dienstleister, Entwicklerfirma und vielen mehr das Ziel aufrecht zu erhalten und die Veröffentlichung der Anwendung zeitgerecht zu ermöglichen.
Die innovativen Elemente der „Stadtbüchereien Düsseldorf App“ erfordern für die Nutzung von AR aktuelle Hardware. Während Mindestvoraussetzung die Betriebssystem iOS 10 und Android 9 sind, und ein Blick auf Marktdurchdringung vermuten lässt, dass eine kritische Menge an Menschen über diese verfügt, kommt es erfahrungsgemäß – trotz der Verfügbarkeit auf über 700 Gerätemodellen – im Alltag doch recht häufig vor, dass Nutzende die App nicht installieren können. Das kann auch Geräte betreffen, die grundsätzlich die Mindestvoraussetzung an Betriebssystem und mögliche AR-Nutzung erfüllen. Ob ein Gerät kompatibel ist, hängt allerdings auch von Faktoren wie der Qualität der verbauten Kamera, den Bewegungssensoren, der Leistungsstärke des Prozessors und der Designarchitektur der Hardware ab.
Im Hinblick auf die von der Zielgruppe verwendeten Geräte ist die angestrebte Idee, eine „Mainstreamer“-App zu sein, wohl erst in einigen Jahren zu erfüllen.
Hier ist die App tatsächlich ihrer Zeit voraus.
Kontaktdaten:
Maike Lins, Leiterin des Sachgebietes Digitale Services der Stadtbüchereien Düsseldorf, Mail: maike.lins@duesseldorf.de
[1] Die „Smart City Challenge“ 2018 in Düsseldorf war eine Praxiskonferenz mit anschließendem Pen & Paper Hackathon zum Megathema Smart City. Dabei stellten Städte, Infrastrukturbetreiber und Technologieanbieter eigene Problemstellungen vor. Gemeinsam mit Startups, Wissenschaftlern und Techies entwickelten Sie hierfür in Teams konkrete Lösungen (Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle).
[2] Das gesamte Landesprojekt der Digital-Strategie der Zentralbibliothek im KAP1 ist im Blog der Fachstelle Öffentliche Bibliotheken NRW abrufbar: https://fachstelle-oeffentliche-bibliotheken.nrw/2023/08/duesseldorf-mehr-zentralbibliothek-durch-digitale-self-services/ (Zuletzt aufgerufen am 30.08.2023).