Auf einmal war da die Nachhaltigkeit – und was das mit New Work zu tun hat

Ein Beitrag von Martin Renz, Leiter der Stadtteilbibliothek Bremen-Vegesack

Die Zweigstelle der Stadtbibliothek Bremen im Stadtteil Vegesack profiliert sich unter anderem mit dem Thema Nachhaltigkeit. Martin Renz, Leiter der Stadtteilbibliothek Vegesack, erklärt wie es dazu kam:

„Anfang 2020 ereilte mein Team und mich dasselbe Schicksal wie andere öffentliche Bibliotheken auch: Aufgrund der Pandemie stand die Welt plötzlich Kopf und mit ihr die Arbeit in der Bibliothek. Small Talk mit den Lieblingskund:innen, Veranstaltungen im und außer Haus – viele Dinge, die den Arbeitsalltag meines Teams bisher ausmachten und auch für mein berufliches Selbstverständnis essentiell waren, fielen auf einmal weg. Was mir blieb, war zunächst einmal meine Rolle als Führungskraft – und plötzlich ganz viel Freiraum, der es zuließ, Dinge einmal anders zu denken: Wenn die ganze Welt sich gerade ändert, machst du als Chef dann weiterhin „business as usual“? Da geht doch bestimmt noch mehr…

Nachhaltigkeit
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In dieser Ausgangslage begegnete mir das Konzept von „New Work“. Zugegebenermaßen war New Work bis zu dieser Zeit kaum mehr als ein Buzzword für mich: irgendwas mit Tischkicker und Obstkorb, alle duzen sich und machen, was sie wollen – dachte ich jedenfalls. Bis ich erfuhr, dass sich hinter New Work eigentlich etwas ganz Anderes verbirgt. Geprägt hat den Begriff der Philosoph Frithjof Bergmann, dem es bei New Work um die Frage ging, wie das System Arbeit so transformiert werden kann, dass es Menschen in die Lage versetzt, mit ihrer Arbeit das zu tun, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Das fand ich schon mal deutlich interessanter als den Tischkicker. Und bin dann eines Tages im Podcast „On The Way To New Work“ auf eine Variante dieser Fragestellung gestoßen, die für mich gewissermaßen die Initialzündung darstellte:

Wie kann Arbeit zu etwas werden, das Menschen stärkt anstatt sie zu schwächen?

Oder konkret: Wie können wir unsere tägliche Arbeit in der Bibliothek so gestalten, dass wir Energie aus ihr schöpfen anstatt immer wieder Energie in sie hineinzustecken, die wir uns woanders herholen müssen?

Relativ schnell war klar: Wenn das unser Ziel sein soll, dann brauchen wir – neben einer ganzen Reihe anderer Dinge – „purpose“, also Klarheit über das Warum und Wozu unseres Tuns, über das, was uns antreibt, über den Sinn und Zweck unserer Einrichtung als Bibliothek im Stadtteil Vegesack, eine Vision davon, wohin wir eigentlich wollen. Diese Vision haben wir als Team gemeinsam erarbeitet. Los ging es mit einer Hausaufgabe. Ich habe meine Kolleginnen gebeten, sich zu Hause mal ganz in Ruhe eine halbe Stunde Zeit zum Nachdenken über die Arbeit zu nehmen und ihre ganz persönliche Antwort auf die folgenden Fragen zu finden:

Warum machen Sie diesen Job? Was ist es, das Sie jeden Morgen aufstehen und den Weg in dieses Haus antreten lässt? Was ist für Sie der Daseinszweck dieser Bibliothek? Welches Image soll diese Bibliothek haben? Für welche Werte wollen wir stehen? Und was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Dinge, die diese Bibliothek ihren Nutzer:innen bieten kann?

Wie gesagt, mit Antworten auf diese Fragen allein war es nicht getan. Vielmehr scheint sich hier eine neue Daueraufgabe aufgetan zu haben, scheint auf dem Weg zu einem „neuen Arbeiten“ der Weg das Ziel zu sein. Fürs Erste galt es, noch viel mehr Dinge kritisch auf ihre Sinnhaftigkeit zu durchleuchten und gegebenenfalls komplett auf links zu krempeln, neue Formen der Kommunikation zu suchen und zu etablieren, auch neue Wege der Entscheidungsfindung und Beteiligung zu beschreiten. Der Austausch über die eben genannten Fragen erwies sich als erster Schritt auf diesem Weg jedoch als ungeheuer wertvoll und bildete in meinen Augen so etwas wie einen Kickstart für mein Team und mich: Mit einem Mal wurden Energien freigesetzt und die Motivation potenzierte sich. Was letztlich auch dazu führte, das sich unsere Nutzer:innen über eine ganze Reihe von Innovationen freuen dürfen:

Inzwischen ist die Brachfläche hinter dem Haus zum Bibliotheksgarten geworden, in dem ganz niedrigschwellige Angebote zur ökologischen Bildung mit dem BUND und der Volkshochschule stattfinden und in dem unsere Bibo-Bienchen für Bibliothekshonig sorgen. Es gibt ein Tauschregal für Alltagsdinge, die zu schade sind zum Wegwerfen, und eine Saatgutbibliothek. Ganz neue Veranstaltungsformate werden angedacht und umgesetzt. Ein Beispiel dafür ist der Nachhaltigkeitsnachmittag, bei dem die Bibliothek Start- und Zielpunkt für eine Stadtteil-Aufräumaktion mit „Clean Up Your City“ war. Im Anschluss daran luden die Ehrenamtlichen vom Foodsharing zum Picknick im Bibliotheksgarten ein, danach veranstalteten die Aktivist:innen von Climactivity ein Klimaquiz und eine Kleidertauschbörse gab es noch obendrein.

Auf einmal war da also die Nachhaltigkeit, und zwar nicht mehr nur als Hintergrundrauschen, sondern als ein zentrales, sichtbares Thema. Die Bibliothek wird grün, das Netzwerk größer und das Angebot für unsere Nutzer:innen noch ein Stück weit bunter. Und das Beste daran: Diese Dinge geschehen nicht, weil jemand sie angeordnet hat. Sondern weil in dieser Bibliothek Menschen arbeiten, die diese Dinge als etwas identifiziert haben, das sie wachsen lässt, aus dem sie Kraft schöpfen und die diese Dinge „wirklich, wirklich wollen“.“

Den gleichnamigen Vortrag des diesjährigen Bibliothekskongresses finden Sie hier:

https://opus4.kobv.de/opus4-bib-info/frontdoor/index/index/docId/18003

Kontaktdaten:

Martin Renz, Stadtteilbibliothek Bremen-Vegesack, Mail: martin.renz@stabi-hb.de

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